Dieser Text erschien zuerst bei der Wochenzeitung ›Der Freitag‹ (13.03.2020) unter freitag.de.

Gesundheit Huch, hatten wir in den Klinken nicht gerade noch „Überkapazitäten“? Wie die Corona-Krise den Irrsinn von Fallpauschalen und Erlösorientierung offen legt.

Die Coronavirus-Epidemie macht deutlich, dass Krankenhäuser eine gesellschaftliche Infrastruktur sind, die für Krisenfälle eine ausreichende Kapazität vorhalten muss.

Zeitgleich zur Verbreitung des Corona-Virus entbrennt eine Diskussion darüber, ob das deutsche Gesundheitssystem für einen solchen Krisenfall gewappnet ist. Erste Signale, dass es hier nicht zum Besten steht, hat die Regierung selbst unfreiwillig gesendet: Bereits vergangene Woche erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die erst kürzlich in Kraft getretenen minimalistischen (Pflege-) Personalvorgaben („Untergrenzen“) für die Krankenhäuser vorerst wieder außer Kraft zu setzen, damit die Krankenhäuser auch dann unter Volllast behandeln können, wenn das (Pflege-) Personal knapp wird. In dieser Hinsicht wirkt die Cornona-Pandemie eher wie ein Brennglas, in dem schon länger bekannte Probleme besonders scharf sichtbar werden: es fehlt an Personal in den deutschen Krankenhäuser.

Die Pandemie sorgt jedoch auch in weiteren krankenhauspolitischen Fragen für eine Perspektivverschiebung. Von (neo)liberaler Seite wurden in den vergangenen Jahren vor allem die angeblichen „Überkapazitäten“ an Bettenplätzen und Krankenhausstandorten in Deutschland in den Mittelpunkt der Debatte gestellt. Sie würden zu einer Fehlsteuerung der Ressourcen führen. Weniger Betten konzentriert an weniger Krankenhausstandorten – so die über Jahre eingeübte Kernbotschaft – würden ermöglichen, mit dem vorhandenen Personal die Pflegebedingungen für PatientInnen und Beschäftigte zu verbessern und sogar noch Geld zu sparen. Die im europäischen Vergleich hohe Bettendichte pro EinwohnerIn gilt in dieser Argumentation als Beleg für Rationalisierungspotential.

Die Debatte verschiebt sich

Mit der Corona-Pandemie verschiebt sich die Debatte. Jens Spahn wird in diesen Tagen nicht müde zu betonen, dass Deutschland mit seiner im europäischen Vergleich hohen Dichte insbesondere von Intensivbetten, gut auf Corona vorbereitet sei und über „ein vergleichsweise gut bis sehr gut ausgestattetes Gesundheitssystem“ verfüge. Was gestern also noch eines der größten Probleme des deutschen Krankenhauswesens gewesen sein soll, verwandelt sich von einem auf den anderen Tag in ein wichtiges Argument für die ,Leistungsfähigkeit des Deutschen Gesundheitswesens‘. Dass der Minister es für nötig hält, die Personalvorgaben für diese Bereiche außer Kraft zu setzen, verweist jedoch darauf, dass man auch im Gesundheitsministerium nicht restlos von der eigenen Botschaft überzeugt ist.

Diese Entwicklung macht deutlich, dass Krankenhäuser eine gesellschaftliche Infrastruktur sind, die für Krisenfälle eine ausreichende Kapazität vorhalten muss. Diese Kapazitäten können per Definitionem im nicht-Krisenmodus zumindest zum Teil nicht genutzt werden.

Damit sind wir beim Kern der deutschen Krankenhausmisere: der Finanzierung nach den sog. Fallpauschalen (DRG). Denn deutsche Krankenhäuser bekommen nur ein Minimum ihres Budgets für die Vorhaltung von Kapazitäten. Die Krankenhäuser werden pro Patientenfall bezahlt, den sie behandeln. Sie müssen ihre Kapazitäten immer so auslasten, dass sie über die Erlöse durch die einzelnen Patientenfälle genug Geld einnehmen, um den Betrieb ihrer gesamten Infrastruktur (inklusive Personal) finanzieren zu können.

Was Lauterbach verschweigt

In einem solchen System handelt betriebswirtschaftlich unverantwortlich, wer seine Kapazitäten nicht so weit wie möglich auslastet. Für den Krisenfall vorgehaltene (leere) Betten sind aus der individuellen Krankenhausperspektive Erlösausfälle. Das Problem beginnt also nicht erst – wie man es aktuell in verschiedenen Stellungnahmen hört – mit der Gewinnorientierung. Es beginnt bereits mit der „Erlösorientierung“ – also dem Zwang den gesamten Betrieb durch das Erbringen von „Leistungen“ finanzieren zu müssen – unabhängig davon, ob diese individuell oder gesellschaftlich gerade sinnvoll sind. Es wäre, wie wenn die Feuerwehr nur für jeden gelöschten Brand bezahlt werden würde.

Dies gilt auch für die aktuelle Situation. Aus epidemiologischer Sicht müssten die Krankenhäuser schon jetzt beginnen, Kapazitäten frei zu machen, indem planbare – sog. elektive – Eingriffe verschoben werden. Dies soll nun nach Absprache zwischen Bund und Ländern ab Montag umgesetzt werden. Für das Krankenhaus ist das jedoch ein betriebswirtschaftliches Risiko, für das es im aktuellen Finanzierungssystem keine Lösung gibt. Denn zum einen wissen die Krankenhäuser nicht, wann und in welchem Umfang die Corona-Fälle wirklich kommen und sie entsprechend mit ihnen Geld verdienen können. Noch wichtiger: sie wissen auch nicht ob die Erlösausfälle, die sie vielleicht durch die Verschiebung von lukrativen „Fällen“ erleiden, durch die Erlöse über Corona-PatientInnen kompensiert werden können. Zumal diese wegen der Notwendigkeit der Isolation viele Kapazitäten in Beschlag nehmen werden. Das schwant inzwischen auch dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, der in der Tagesschau davor warnte, dass private Klinikbetreiber sich gegen die Aufnahme von Corona-PatientInnen wehren könnten, weil sie damit „lukrativere“ Patienten verlieren. Was Lauterbach verschweigt: durch das Fallpauschalen-System, das er seinerzeit selbst mit eingeführt hat, besteht dieser Anreiz auch für öffentliche und freigemeinnützige Häuser.

Durch die Art der Krankenhausfinanzierung stehen die betriebswirtschaftlichen Einzelinteressen der Krankenhäuser also in einem beständigen Spannungsverhältnis zum öffentlichen Interessen an einer Gesundheitsinfrastruktur. Dies wird in der aktuellen Situation zu beständigen Verzögerungen und Problemen in den Abstimmungsprozessen führen. Krankenkassen und Krankenhäuser sollen sich nach Willen des Gesundheitsministeriums nun darüber verständigen, wie Erlösausfälle kompensiert werden sollen. Angesichts der Tatsache, dass diese beiden Akteure sich jedes Jahr mit tausenden von Gerichtsverfahren, wegen Abrechnungsfragen überziehen, werden sie sich nicht leicht tun, sich über die nicht ganz banale Frage zu verständigen, wie diese Erlösausfälle zu berechnen sind. Die Bundesregierung zieht sich hier aus der Affäre, in einer Situation, in der jede Unsicherheit vermieden werden muss.

Ohne Desinfektion

Bis zu der jüngst angekündigten Absage der planbaren Behandlungen wurde das Problem vor allem durch das Aussetzen der „Untergrenzen“ auf dem Rücken der Beschäftigten gelöst. Wie reibungslos diese Ankündigung angesichts des Erlösdrucks umgesetzt wird, werden die nächsten Tage zeigen. Der Pflegeberufsverband DBfK berichtet bereits davon, dass Kliniken das Aussetzen der Untergrenzen nutzen um Betten mit Nicht-Corona-PatientInnen zu belegen. Dabei ist das Aussetzen der Personalstandards bei der Ausbreitung eines hoch ansteckenden Virus besonders widersinnig. Eine der zentralen Gegenmaßnahmen gegen die Übertragung im Krankenhaus, ist eine ausgiebige Händedesinfektion. Umfragen unter Pflegekräften habe gezeigt, das diese bei Unterbesetzung mit als erstes vernachlässigt wird.

Wir lernen also jetzt schon aus der Krise, dass die Propagierung angeblicher Überkapazitäten und der Notwendigkeit von flächendeckenden Krankenhausschließungen, wie sie die Bertelsmann-Stiftung und andere betreiben, unverantwortlich ist. Es ist aber darüber hinaus überfällig, Alternativen zum bestehenden System der Fallpauschalen-Finanzierung zu entwickeln. Krankenhausversorgung darf nicht den Marktanreizen überlassen, sondern muss demokratisch geplant werden.


Kalle Kunkel hat als Verdi-Gewerkschaftssekretär die Streiks zu Personalbemessung an der Charité in Berlin mitorganisiert. Er ist in der Kampagne „Krankenhaus statt Fabrik“ aktiv.

Was war geschehen?

Rechtsradikale monarchistische Militärs hatten geputscht. Soldaten, die noch immer nicht verstanden hatten, dass sie sich im Kriege unter den Parolen von der ›Ehre des Kaisers‹ und der ›Größe des Vaterlandes‹ hatten missbrauchen lassen für die Eroberungspläne des deutschen Großbürgertums, waren seit Ende 1918 in Scharen in die Freikorps geströmt, die die Offiziere zur Bekämpfung der verhassten Revolution aufgestellt hatten.

Jetzt, 16 Monate nach dem Sturz der Monarchie durch die Novemberrevolution 1918, fühlten sich die rechtsradikalen Militärs wieder mächtig genug, die ungeliebte junge Republik der ›Novemberverbrecher‹ zu beseitigen. Die Freikorps waren erstarkt an den Aufgaben, die die SPD-geführte Reichsregierung und ihr Reichswehrminister Noske ihnen zugewiesen hatten: der Massakrierung aller revolutionären Ansätze, die die Parole von der ›sozialistischen Republik‹ ernst genommen hatten, von den großen Streiks für die Sozialisierung von Bergbau und Industrie im Ruhrgebiet, in Mitteldeutschland und in Berlin bis zu den Räterepubliken in Bremen und München. Dabei waren sie auf 400.000 Mann angewachsen.

Anfang 1920 sollte die Reichswehr, die aus den Freikorpsverbänden hervorgegangen war, gemäß dem Versailler Friedensvertrag auf 100.000 Soldaten reduziert werden – an der Auflösung überzähliger Truppeneinheiten kam man jetzt nicht mehr vorbei. So traf es auch die Marinebrigade Erhardt, die sich bei den Massenmorden in München hohe Verdienste erworben hatten. Dem ›Vater der Freikorps‹, General von Lüttwitz, ging das entschieden zu weit – er verlangte von Reichspräsident Ebert die Rücknahme des Auflösungsbeschlusses und seine eigene Einsetzung als Oberkommandierender. Als dies abgelehnt wurde, marschierte die Brigade Erhardt am 13. März 1920 durchs Brandenburger Tor und besetzte die Regierungsgebäude. Weil keine Militäreinheit bereit war, die Regierung zu verteidigen, floh diese nach Stuttgart, hinterließ aber den Aufruf zum Generalstreik.

Der politische Kopf der Putschisten, Generallandschaftsdirektor Kapp, Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei und des Aufsichtsrats der Deutschen Bank, erklärte Regierung und Parlament für aufgelöst und ernannte sich zum Reichskanzler. Sein Programm sah eine Kanzlerdiktatur vor und den Einbau aller Verbände einschließlich der Gewerkschaften in einen hierarchischen Korporativstaat. Für die Gewerkschaften war klar, dass das ihren Untergang bedeuten würde, und so erließ der Vorstand der freien Gewerkschaften unter ihrem Vorsitzenden Carl Legien noch am selben Tag einen zusätzlichen Generalstreikaufruf, dem sich noch andere Gewerkschaften anschlossen.

Seit dem Krieg und den Massenmorden Anfang 1919 waren die Militärs bei der Arbeiterschaft über alle Maßen verhasst. Die Arbeiterschaft sah jetzt auch noch den Achtstundentag und ihre demokratischen Freiheiten bedroht, die sie sich in der Novemberrevolution erkämpft hatte, und trat umgehend in den Streik. Der Eisenbahnverkehr wurde stillgelegt, es fuhren keine Busse und Straßenbahnen mehr, es gab keine Zeitungen, keine Post und keine Telefonvermittlung, alle Fabriken und Behörden standen still – in Berlin wurde sogar die Versorgung mit Strom und Gas unterbrochen, Wasser gab es nur noch an öffentlichen Brunnen. Die Putschisten saßen bei Kerzenschein in der Reichskanzlei und es fanden sich keine Beamten, die ihre Anweisungen ausführten – auch die Lohnzahlungen für die Truppen wurden abgelehnt. Drohungen mit der Todesstrafe für Streikposten und antisemitische Hetze fruchteten nichts.

Am 17. März floh Kapp nach Schweden, einen Tag später gab auch von Lüttwitz auf.
Das Militär hatte sich zu großen Teilen den Putschisten angeschlossen und war gegen streikende Arbeiter vorgegangen. Im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, in Mitteldeutschland um Halle und Merseburg, in Teilen von Thüringen, Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg und Pommern griffen die Arbeiter zu den Waffen, um sich zu verteidigen. Die Bergarbeiter im Ruhrgebiet schlugen die anrückenden Freikorps zurück und es bildete sich spontan und parteiübergreifend eine Rote Ruhrarmee mit über 50.000 Mann, die nach einigen Tagen das gesamte Ruhrgebiet befreit hatte. Örtliche Arbeiterräte übernahmen die Verwaltung.

„Die Rotarmisten waren fröhlich, voller Zuversicht, überzeugt von der Richtigkeit ihrer Sache. Sie scherzten und waren guter Dinge. Es waren Arbeiter aller Berufe, sehr viele junge Menschen, aber auch viele ältere, die in ihrem Leben und Kampf Erfahrungen gesammelt hatten. Unter ihnen waren auch viele Frauen. Bekleidet mit weißen Kitteln und roten oder weißen Kopftüchern, pflegten sie in diesen Tagen die Verwundeten.“Milli Bölke

In und um Berlin kam es vielerorts zu handgreiflichen Auseinandersetzungen und Straßenkämpfen zwischen der aufgebrachten Arbeiterschaft und den Putschisten, denen sich auch bürgerliche Einwohnerwehren angeschlossen hatten; so wurden in Schöneberg, Steglitz, Mitte, Charlottenburg, Neukölln, Köpenick und Kreuzberg zahlreiche Demonstranten erschossen, bewaffnete Arbeiter wurden in Lichtenberg grausam ermordet.

„ Ein scharfer Zusammenstoß erfolgt an der Ecke der Invaliden und Brunnenstraße. Eine Militärabteilung, die mit klingendem Spiel durch die Straßen zieht, wird von der Menge mit Steinen und Handgranaten beworfen, einigen Soldaten werden die Waffen entrissen. Truppen mit Maschinengewehren und Flammenwerfern eilen zur Hilfe und eröffnen ein scharfes Gewehrfeuer. Vier Personen werden getötet.“Berliner Tageblatt

Einige Offiziere wurden entwaffnet und gelyncht. Als Putschistentruppen nach ihrer Niederlage durch das Brandenburger Tor abzogen, verhöhnte sie die Menge – Schüsse und 12 Tote waren die Antwort. Etwa 200 Menschen kostete der Putsch allein in Berlin das Leben.

Die Arbeiterschaft gab sich mit dem Aufgeben der Putschisten nicht zufrieden – der Streik dauerte an, weil eine Wiederholung ausgeschlossen werden sollte und man endlich das sozialistische Versprechen verwirklicht sehen wollte. Erst nachdem die Gewerkschaften in Verhandlungen mit der Regierung Zugeständnisse erhalten hatten für die Inangriffnahme der Sozialisierung und Bestrafung der Putschisten, ging der Generalstreik am 23. März zu Ende. Von den Versprechungen wurde jedoch nichts umgesetzt.

„In Recklinghausen inszenierte ein Unteroffizier vor einer zusammengelaufenen Zuschauermenge, darunter Kinder, die Erschießung von vier Bergleuten. Der erste musste ein Loch ausheben, sich dann am Rande davor aufstellen und ›Üb immer Treu und Redlichkeit‹ singen; während er sang, feuerte das Kommando auf ihn, so dass er in das Loch kippte. Der nächste musste ihn zuschaufeln, sich dann sein eigenes Grab schaufeln und so fort.“Erhard Lucas, Historiker

Das Ruhrgebiet allein konnte sich nicht halten, und eine Vereinbarung zur Waffenabgabe sabotierten die Militärs, so dass die Kämpfe dort andauerten. Alles verfügbare Militär, auch die Putschtruppen, setzte die von der Arbeiterschaft gerettete, SPD-geführte Reichsregierung nun gegen das Ruhrgebiet in Marsch. Die Freikorps rächten sich grausam für ihre Niederlage. Die meisten der etwa 1.000 Opfer wurden nach den Kämpfen bestialisch misshandelt und erschossen – viele mussten sich ihre eigene Grube schaufeln. Auch Sanitäterinnen wurden umgebracht. Die Mordmethoden der Nazis sind hier gewachsen.
Bei den folgenden Reichstagswahlen im Juni 1920 stürzte die SPD ab: von den elfeinhalb Millionen Wählern 1919 blieben ihr nur noch sechs Millionen. Die Anhängerschaft der USPD nahm sprunghaft zu. Der gegenseitige Hass zwischen den beiden Lagern der Arbeiterbewegung wurde so stark, dass er sich nicht mehr überwinden ließ.

Der Generalstreik gegen den Kapp-Putsch hatte der SPD-Führung deutlich vor Augen geführt, wie eine solche gemeinschaftliche Aktion der gesamten Arbeiterschaft sich radikalisieren kann. In der Endphase der Weimarer Republik, während der Wirtschaftskrise, beim Papen-Putsch gegen die Preußische Regierung, bei der Machtübergabe an die faschistischen Terrorbanden unterließen die Führungen von SPD und Gewerkschaften alle Mobilisierungen, die geeignet gewesen wären, in revolutionäre Richtung aus dem Ruder zu laufen – statt das Risiko eines aus der Massenbewegung geborenen Sozialismus einzugehen, vertrösteten sie sich und ihre Mitglieder, der Faschismus werde auch wieder vorübergehen, wie ja die Sozialistengesetze (Verbotsphase 1878 bis 1890) auch vorübergegangen waren. Ein tödlicher Irrtum. Die Schuld schoben sie der spalterischen Politik der schwachen KPD in die Schuhe. In den Konzentrationslagern sah man sich wieder.

Wir Heutigen sollten daraus den Schluss ziehen, dass wir bedrohliche politische Entwicklungen abwehren können, wenn alle zusammenhalten. Wenn sich alle einzeln wegducken, kommt es nur noch schlimmer.

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von RA Benedikt Hopmann

Es sind die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in Betrieben und Verwaltungen, die das in die Hand nehmen müssen. In manchen Betrieben und Verwaltungen haben sie Vertrauensleute gewählt. Häufig werden Betriebsräte ihren ‚Betriebsratshut‘ ab – und Ihren ‚Gewerkschaftshut‘ aufsetzen und dann in dieser Funktion die Beschäftigten am kommenden Mittwoch zur Arbeitsniederlegung aufrufen: Am Tag der Trauerfeier der Stadt Hanau, um 11:50 Uhr.

Wenn die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter einen solchen Beschluss gefasst haben, werden sie in der Regel den Arbeitgeber auffordern, diese Initiative zu unterstützen.  Unterstützt der Arbeitgeber diese Initiative, wird es häufig leichter sein, die Beschäftigten zur Teilnahme zu mobilisieren. 

Was aber, wenn der Arbeitgeber die Unterstützung ablehnt, zum Beispiel weil er mit der AfD sympathisiert? 

Dann sollten die Beschäftigten trotzdem dazu aufgerufen werden, die Arbeit niederzulegen. Der Vorschlag der IG Metall Hanau-Fulda schließt diese Möglichkeit nicht aus. 

Wir dürfen nicht auf eine Arbeitsniederlegung am Tag der Trauerfeier verzichten, weil der Arbeitgeber diese Arbeitsniederlegung nicht will, zum Beispiel weil er Anhänger der AfD ist. Ein Verzicht aus diesem Grund wäre der Tod der  Meinungsfreiheit in einem sehr wichtigen Moment.

Es geht um die Meinungsfreiheit der Beschäftigten gegen rechte Gewalt und gegen diejenigen, die ihr den Weg bereiten. Zu diesem Zweck in den Betrieben und Verwaltungen die Arbeit ruhen lassen, darf nicht von der Zustimmung des Arbeitgebers abhängig gemacht werden.

Das Bundesverfassungsgericht drückt es so aus: »Die Meinungsfreiheit (…) gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. (…) Wird die Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe verstanden, kann für sie nichts grundsätzlich anderes gelten. (…) Indem der Demonstrant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgibt, entfaltet auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise (…) das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers«.[1]

Hinter den Eingängen in die Betriebe und Verwaltungen darf mit dieser »Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers« nicht Schluss sein. Freiheit nur in der Freizeit ist keine Freiheit. Lassen wir uns an einem Tag wie dem kommenden Mittwoch in den Betrieben und Verwaltungen den Mund verbieten lassen, sind wir Untertanen. Ein Mensch, der am  kommenden Mittwoch am Arbeitsplatz als Untertan handelt, kann auch abends, wenn er diesen Arbeitsplatz verlässt, keine mündiger und selbstbewusster Bürger sein. Nur wenn wir als abhängig Beschäftigte am kommenden Mittwoch  gemeinsam gegen rechte Gewalt und die Wegbereiter dieser Gewalt demonstrieren, sind wir nicht Knechte, sind wir nicht Mägde, sind wir keine Untertanen.

Wir erinnern daran, dass sich die Gewerkschaften nie ihr Recht auf Meinungsfreiheit in Betrieben und Verwaltungen haben nehmen lassen. Wir erinnern u.a.

  • an die Proteststreiks in der Zeit vom 25. bis 27.5.1972 wegen des Misstrauensvotums der CDU/CSU Bundestagsfraktion gegen Bundeskanzler Willy Brandt, an denen ca. 1000.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer teilnahmen;
  • an die „fünf Mahnminuten für den Frieden“, zu denen DGB und IG Metall am 5.10.1983 wegen der Stationierung von US-Raketen aufriefen; an diesem Tag ruhte in vielen Betrieben die Arbeit von 11:55 bis 12:00 Uhr, und
  • an die Jahren 2000 und 2007, als es zu Arbeitsniederlegungen aus Protest gegen die Rente mit 67 kam; dieser Protest beruhten nicht auf einem gewerkschaftlichen Aufruf, wurden aber in den Betrieben von den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern organisiert.  

Samstag, den 29. Februar 2020

Benedikt Hopmann
Rechtsanwalt


[1]                                                              BVerfG v. 14.5.1985 Brockdorf 1 BvR 233, 341/81 Rn. 64, 62