Wohnkonzerne vergesellschaften!
Für ein Ja im Volksentscheid am 26. September

Es gab einmal eine Zeit, die mit dem Ziel der Vergesellschaftung von Konzernen große Hoffnungen verband, so weitgehend und allgemein tragfähig, dass sie in der damaligen Weimarer Verfassung (1919) niedergeschrieben wurde. Nicht zufällig im Anschluss an den Ersten Weltkrieg, so dass diese Forderung nach dem Zweiten Weltkrieg ins Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Mai 1949) übernommen wurde. Damit war mehr gemeint, als Enteignungen von Privatgrundstücken für den Bau von Autobahnen vorzunehmen: Es ging um die Vergesellschaftung des großen Kapitals, allen voran der Schwerindustrie, die eine große Verantwortung für diese Kriege hatte. Gegenwärtig lebt die Forderung nach Vergesellschaftung vor allem wieder auf, wenn es um die Daseinsvorsorge geht, die Erfüllung elementarer Grundbedürfnisse, von denen das Recht auf bezahlbares Wohnen (neben Gesundheit, kommunale Versorgung mit Energie und Wasser) ein zentrales Moment darstellt …

Die Veranstaltung mit Musik  fand im ver.di-Haus Berlin statt.


Video

Passagen:

  1. Einführung durch die Koordination ›Unvollendete Revolution 1918
  2. Jonas Becker, Stand der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“
  3. Frank Wolf, Landesbezirksleiter ver.di
  4. Sabine Kördel, Ortsvorstand IG Metall Berlin
  5. Dietmar Lange, Historiker „Zur Geschichte des Artikel 15 Grundgesetz“
  6. Diskussion

Musik  |  The Incredible Herrengedeck

Moderation  |  Marianne Dallmer und Manfred Birkhahn

Veranstalter  |  Koordination ›Unvollendete Revolution 1918

Dokumentation  |  www.zweischritte.berlin 2021


Seit unserem Symposium vom März 2019 im IGMetall-Haus unterstützen wir die Ziele des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen und Co enteignen“, weil hiermit ein Schritt zur Vergesellschaftung von Daseinsvorsorge gemacht werden soll.
So haben wir im Vorfeld der Wahlen am 7.9.2021 zu ver.di in die Köpenicker Straße eingeladen, um das Ja im Volksentscheid zu begründen und zu vermehren.
Die Veranstaltung war sehr lebendig – wegen der Pandemie konnten nur 30 Personen teilnehmen.

VertreterInnen der beiden großen Gewerkschaften ver.di und IGMetall haben begründet, warum sie ihre Mitglieder auffordern, mit Ja zu stimmen.


eFlyer


Galerie

von Klaus Dallmer

War die Überführung der Großindustrie in Gemeineigentum eine alte Zukunftsvorstellung der Arbeiterbewegung, so wurde sie nach den Gräueln des Ersten Weltkrieges zur konkreten Forderung in der Novemberrevolution 1918. 
Die Mehrheit der Arbeiter und Arbeiterinnen hatte verstanden, dass der Krieg nicht fürs „Vaterland“, sondern für bessere Weltmarktchancen der Industriellen und Aktionäre geführt worden war. Die Arbeiter wollten sich nicht noch einmal für das Bürgertum verheizen lassen; deshalb sollten ihm die Grundlagen seiner Macht und die Ausbeutungsmöglichkeiten entzogen werden. Die schlimmsten Arbeitsbedingungen herrschten in den Bergwerken und in der Schwerindustrie, damit sollte Schluss sein, und man wollte nicht weiterhin Kriegsgewinnler wie Stinnes durch die eigene Arbeit bereichern.

Die Gewerkschaftsführungen hatten bereits sechs Tage nach dem Sturz des Kaisers im sogenannten Stinnes-Legien-Abkommen dem Unternehmerlager das Eigentum garantiert und dafür ihre Anerkennung als gleichberechtigte Verhandlungspartner eingehandelt, dennoch blieb die Sozialisierung neben der Entmachtung des Militärs die wichtigste Forderung der Arbeiterbewegung. Uneinig war man sich über den Weg; sollte die Sozialisierung von einer sozialistischen Mehrheit im künftigen Parlament, die man als sicher erwartete, beschlossen werden, oder sollte man sie über die Räte, denen in der Revolution überall die Macht zugefallen war, direkt durchsetzen?

Auf dem Reichsrätekongress, oberstes Organ der neuen Republik, war Mitte Dezember 1918 deutlich geworden, dass die übergroße Mehrheit den parlamentarischen Weg für richtig hielt, weil er einen größeren gesellschaftlichen Rückhalt versprach. Man beschloss Wahlen zur Nationalversammlung für den 19. Januar 1919.  Dennoch sprach sich die Versammlung mit noch größerer Mehrheit dafür aus, mit der Sozialisierung aller dafür reifen Industrien, insbesondere des Bergbaus, unverzüglich zu beginnen. Allerdings beschloss man dazu keine konkreten Maßnahmen, sondern beauftragte damit die Revolutionsregierung, den von der SPD dominierten Rat der Volksbeauftragten.

Dieser verbündete sich jedoch mit der Obersten Heeresleitung, um den letzten Widerstand gegen die Entmachtung der Arbeiter- und Soldatenräte zu brechen. Neuaufgestellte reaktionäre Truppen brachten in den Berliner Januarkämpfen über Hundert Revolutionäre um und ermordeten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

In den anschließenden Wahlen zur Nationalversammlung erhielt die SPD 37,9 % – die USPD 7,6 %. Die Mehrheit der Arbeiterschaft hatte also das Vorgehen der Regierung gegen die revolutionären „Störenfriede“ gebilligt, und zur sozialistischen Parlamentsmehrheit hatte es nicht gereicht.

So war die Sozialisierung in weite Ferne gerückt, und es setzte eine allgemeine Desillusionierung in der Arbeiterschaft ein, zumal die Regierung nun auch reichsweit militärisch „aufräumen“ ließ und die SPD mit Verweis auf ihre bürgerlichen Koalitionspartner Sozialisierungen für nicht möglich erklärte. Im Verfassungsentwurf, den die Nationalversammlung in Weimar diskutierte, wohin sie aus Furcht vor der Berliner Arbeiterschaft ausgewichen war, kam die Sozialisierung nicht einmal vor. Ministerpräsident Scheidemann ließ verbreiten, dass kein Kabinettsmitglied daran denke, das Rätesystem in Verfassung oder Verwaltung einzugliedern – damit war auch der Sozialisierung eine Absage erteilt, denn vergesellschaftete Betriebe müssten natürlich durch Räte verwaltet werden.

Die Bergarbeiter im Ruhrgebiet besetzten nun das Kohlesyndikat und ihre Betriebe – sie organisierten die Produktion und führten die Sozialisierung damit selbständig durch. Die Regierung ließ die Bewegung durch die Freikorps Ende Februar 1919 blutig niederschlagen. Auch im mitteldeutschen Bergbaugebiet übernahmen nun die Arbeiterräte nach Provokationen durch die Freikorps Betriebe und Produktion, die Arbeiterschaft ging zur Unterstützung in den Generalstreik. Die Weimarer Nationalversammlung war mitten im Streikgebiet eingeschlossen, nur geschützt durch die Freikorps. Nun beschloss die Berliner Vollversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte am 3. März den Generalstreik. Am Abend desselben Tages erklärte sich die Weimarer Nationalversammlung, die sich eigentlich um eine Woche vertagen wollte, auf Veranlassung eines erregten Scheidemanns zur Tagung in Permanenz. Die Regierung legte dann am 4. März einen eiligst entworfenen Sozialisierungsartikel vor, der die Möglichkeit der Vergesellschaftung und die Regelung der Gemeinwirtschaft durch Selbstverwaltungskörper vorsah.  Damit war die Mehrheit der SPD-Anhängerschaft zufriedengestellt, die Bewegung gespalten, und in Mitteldeutschland musste der Generalstreik abgebrochen werden, nicht ohne Ermordung von Arbeitern durch die Freikorps.

Die Regierung hatte nun freie Hand, sich wieder auf Berlin zu konzentrieren: der Berliner Generalstreik ging in die Märzkämpfe über, und am Ende hatten die Regierungstruppen über 1.200 Arbeiter brutal ermordet. Wochenlang spülte die Spree Leichen ans Ufer. Danach konnte auch die Münchner Räterepublik durch staatlichen Massenmord beseitigt werden.

So war die Verankerung der Möglichkeit zur Sozialisierung in der Verfassung das Ergebnis eines Täuschungsmanövers zur Verhinderung der tatsächlichen Sozialisierung – ein Zugeständnis, für das Tausende gestorben sind.

Aus den Freikorps wurde die Wehrmacht gebildet. Sie verband sich mit der faschistischen Massenbewegung. Nach ihrer Niederlage im zweiten Versuch, zur Weltmacht zu werden, herrschte im zerstörten Deutschland nach Millionen Toten etwas Klarheit über die Mitschuld der Großindustrie und darüber, was gesellschaftlich geändert werden müsste: sogar die CDU hatte den Sozialismus in ihrem Wahlprogramm zu stehen. 1946/47 streikten wieder Arbeiter für die Vergesellschaftung ihrer Betriebe.
Bei einem Volksentscheid in Sachsen stimmten am 30. Juni 1946 über 77 % für ein „Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes“, mit dem SED und sowjetische Militäradministration die Enteignungen absicherten.
 Am 1. Dezember 1946 stimmten bei einer Volksabstimmung  in Hessen 71 % für die Sozialisierung der Großindustrie. Die Möglichkeit wurde in der Landesverfassung festgeschrieben, aber jahrelange Verzögerungsmanöver und schließlich ein Verbot durch die US-Besatzungsmacht verhinderten die Umsetzung.

In Westdeutschland hatte sich der parlamentarische Rat dann darauf geeinigt, die Wirtschaftsordnung nicht in der Verfassung festzuschreiben. Diese wirtschaftliche Neutralität war Ergebnis des Bonner Kompromisses zwischen SPD und bürgerlichen Parteien, die Anlässe zu Arbeiterprotesten vermeiden wollten. So ist es zum Artikel 15 des Grundgesetzes gekommen, der die Möglichkeit von Vergesellschaftungen gegen Entschädigung offen lässt. Wieder sieht man: das Zugeständnis sollte der damaligen wirklichen Bewegung zur Sozialisierung den Wind aus den Segeln nehmen.

Heute kann die Sozialisierungsbewegung daran anknüpfen, denn die Bestrebungen sind durch den Verfassungsartikel legal. Wir müssen ihn verteidigen, weil die Kämpfe wesentlich erschwert wären, wenn sie in die Illegalität gedrängt werden könnten.

Klaus Dallmer, Juli 2021

„Die privaten Unternehmer erobern nicht nur extern, wie z.B. in China oder der EU, sondern auch intern, in Deutschland selbst, Märkte, die ihnen lange verschlossen waren. So sind sie etwa seit Jahren in der so genannte Daseinsvorsorge auf dem Vormarsch (Krankenhäuser, Wasser, ÖPNV usw.). Wir können die Bekämpfung dieser Privatisierung als ersten Schritt zu einer Politik in die umgekehrten Richtung verstehen und dann sind wir bei den Sozialisierungsforderungen der Revoution 1918/19.“ (Benedikt H.)

Nicht mit uns!

Berliner Bündnis „Eine S-Bahn für Alle“ kritisiert Einigung über die Ausschreibung der S-Bahn und kündigt Proteste an https://www.gemeingut.org/proteste-gegen-s-bahn-ausschreibung/

Pressemitteilung des Aktionsbündnisses „Eine S-Bahn für Alle“ Berlin, den 12. Mai 2020:

Das Aktionsbündnis „Eine S-Bahn für Alle“ kritisiert das Festhalten der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz im Zusammenwirken mit dem Verkehrsminister Brandenburgs an der Ausschreibung der Berliner S-Bahn. Der Raum für die dringend notwendige öffentliche Auseinandersetzung über diese folgenschwere Ausschreibung ist aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie aktuell nicht gegeben.

Das Aktionsbündnis fordert den Verzicht auf die Ausschreibung, welche die Zerschlagung und Privatisierung der S-Bahn auf Kosten von Fahrgästen, Beschäftigten und des Klimas zur Folge nach sich ziehen könnte. Dazu Selma und Simon von Students for Future Berlin:

„Eine Gesellschaft ist nur so gerecht, wie sie ihren Mitgliedern Teilhabe garantieren kann. In diesem Sinne ist für Students for Future Mobilität nicht nur ein ökologischer Grundpfeiler, sondern eindeutig eine soziale Frage. Das wiederum setzt die sozial-ökologische Verkehrswende auf die Tagesordnung. Und für uns heißt das: Ein ÖPNV, der nicht nur ökologisch nachhaltig, sondern auch sozial gerecht im Sinne der Beschäftigten und der Fahrgäste ist. Wir wollen eine S-Bahn, die klimafreundlich, attraktiv und bezahlbar ist. Mit der Ausschreibung in dieser Form ist das alles nicht möglich.“

Das Aktionsbündnis warnt, dass im Extremfall mehr als zehn Unternehmen für verschiedene Bereiche der Berliner S-Bahn zuständig sein könnten. Durch die entstehenden Schnittstellen sind Verkehrschaos und Mehrkosten vorprogrammiert. Dazu Uwe Krug, Vorsitzender der Ortsgruppe S-Bahn Berlin der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL):

„Es geht bei der Ausschreibung nicht darum, die S-Bahn auszubauen, sie pünktlicher zu machen oder die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es geht um die Profitinteressen privater Betreiber. Es kann nicht sein, dass die S-Bahn privatisiert wird und wir als Beschäftigte dafür zahlen. Fast alle der Kollegen sagen: Nicht mit uns! Unsere Gesprächsangebote wurden von der Politik bislang ignoriert. Jetzt müssen wir neue Wege gehen: Wir als Beschäftigte werden uns zu wehren wissen.“

Die Online-Petition gegen die Zerschlagung und Privatisierung der S-Bahn wurde bereits von mehr als 2500 Berliner*innen unterzeichnet. Das zeigt: In der Berliner Bevölkerung genießen die Forderungen des Aktionsbündnisses große Unterstützung. Beim Petitionsauschuss des Abgeordnetenhauses wurden mehrere Petitionen gegen die Ausschreibung eingereicht. Zahlreiche Organisationen wie attac, Naturfreunde Berlin, kritisieren die Ausschreibung scharf.


Um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen und den Druck auf die Politik zu erhöhen, kündigen wir folgende Kundgebung an:

Am Freitag, den 22. Mai, um 15:00 Uhr, wird es unter dem Motto „Nicht mit uns! Keine Zerschlagung und Privatisierung der Berliner S-Bahn“ eine große Widerstandskundgebung vor dem Roten Rathaus geben.

Am 7. Februar 2020 hat die ver.di Mediengalerie zusammen mit der Koordination „1918 unvollendete Revolution“ zu einer Veranstaltung zur Erinnerung an 30 Jahre „Vom Volkseigentum zur Treuhand“ eingeladen.

Gemeinsames Thema natürlich die Privatisierung der DDR-Betriebe. Diskutiert wurde nach Beiträgen von Sebastian Gerhardt und Bernd Gehrke mit ihnen zum betrieblichen Widerstand in der DDR 1989/91. Die Veranstaltung hatte viele Besucher, die davon profitierten, dass die beiden Referenten selbst an den Auseinandersetzungen teilgenommen hatten und die damalige Situation hervorragend analysierten. Eine lange Debatte folgte, in der die Ambivalenz der Prozesse deutlich wurden. Mit der Währungsunion war klar, dass es keine demokratisch-sozialistische DDR mehr geben würde. Viele aktive Gewerkschafter aus der DDR hofften auf den DGB und die Brudergewerkschaften im Westen. Aber es gab eben auch viele Illusionen in die Vorteile des Kapitalismus.

Der „Herbst ’89“ fand nicht nur auf der Straße und im Fernsehen statt. In einer ganzen Reihe von Betrieben setzten sich die Belegschaften für demokratische Interessenvertretungen ein, für Betriebsräte, oder machten über Gewerkschaftsorganisationen ihren Einfluss geltend. Doch welchen Umfang, welche Formen und welche Bedeutung für die politische Gesamtentwicklung der DDR hatte der Aufbruch in den Betrieben? War es ein Aufbruch zur sozialistischen Aneignung der Betriebe durch die „unmittelbaren ProduzentInnen“, wie viele Linke hofften, oder wurde es ein „Griff nach der Notbremse“ (Walter Benjamin) – ging es darum, angesichts unübersehbarer Veränderungen wenigstens einen Fuß in die Tür zu kriegen?

Die Rahmenbedingungen der betrieblichen Konflikte änderten sich mit Währungsunion, Treuhandanstalt und Wiedervereinigung radikal. Das Gegenüber war nicht mehr die Betriebs- und Politbürokratie, sondern das Kapital und die Bundesregierung. Doch die Belegschaften und die Aktiven hatten sich noch nicht geändert.

Sie versuchten jetzt, in neuen Konflikten und vor allem im Kampf mit der Treuhandanstalt Wege zum wirtschaftlichen Überleben von Betrieben und Belegschaften zu finden. Welches Ausmaß und welche Formen hatte der Kampf gegen die Privatisierungs- und Deindustrialisierungspolitik der Treuhandanstalt? Und: Weshalb wurde dieser Kampf verloren? Gibt es Lehren, die heute wichtig sind?

„Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotive der Geschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse.“Walter Benjamin (Aus den Notizen zu ›Über den Begriff der Geschichte‹)

Die Reden der Referenten liegen uns nicht vor, aber die Thematik wird von ihnen auch behandelt in dem Expressheft ›Ränkeschmiede DDR‹.


Fragen und Antworten an und von Sebastian Gerhardt